Herdenimmunität

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SARS-CoV-2 konnte sich so rasch auf der Welt verbreiten, weil kein Mensch immun gegen dieses Virus war. Bislang fanden sich keine Hinweise auf primäre Immunität. In China unterdrückte man seine Ausbreitung, machte sie kontrollierbar. In Deutschland begrenzte man die Geschwindigkeit seiner Ausbreitung durch Ausgangsbeschränkungen und harsche Eingriffe in Wirtschaft, Menschenrechte und Demokratie. Das kostete unendlich viel Geld. SARS-CoV-2 breitete sich trotzdem aus.
In
Schweden setzte man auf unweigerliche Durchseuchung der Bevölkerung. Todesfall-Häufungen wurden bedauert. Im Grunde unternahm man gegen die Epidemie aber nichts. Dahinter stand die Hoffnung auf „Herdenimmunität“. Auch Großbritannien wollte so vorgehen, änderte aber, von seinen vielen Toten verschreckt, diesen Plan. In Japan liebäugelte man Ende April mit Durchseuchung als Weg zum Ziel.

Was ist Herdenimmunität?

Der Begriff „Herdenimmunität“ wurde in der Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit Impfstoffen gebraucht. Sind Sie an den Masern erkrankt, aber alle Ihre Freunde und Verwandten geimpft, hat das Masernvirus Pech. Keiner Ihrer Lieblingskontakte steckt sich mehr an. Ein paar Ihrer Arbeitskollegen erwischt es leider doch, weil sie nicht geimpft sind oder die Masern nicht hatten, so das Konzept.
In der Theorie geht es wie bei der Impfung einer wild lebenden Herde zu. Die meisten Tiere schützen Sie per Injektion, einige nicht. Manche Tiere werden sogar häufiger als geplant geimpft. Wie können Sie wissen, dass Sie zumindest genügend Tiere geimpft haben, um die Ausbreitung der Krankheit zu stoppen?

Wie erreicht man Herdenimmunität?

Das hängt von der Übertragbarkeit, der Infektiosität des Erregers ab. Bei SARS-CoV-2 schätzt man die R0-Zahl, die dieses angibt, auf etwa 3. Demnach müssten Sie etwa zwei Drittel einer abgeschlossenen Gruppe von Menschen impfen, bevor diese „Herde“ Immunität genießt. Abgeschlossen, sagte ich!

Grundsätzliche Fragen

Gibt es Abgeschlossenheit in unserer globalisierten Welt? Entsteht überhaupt Immunität gegen SARS-CoV-2, wenn man impft? Wird man immun, wenn man CoVID-2019 übersteht? Müssen wir zwei Drittel aller 7 Milliarden Menschen weltweit impfen, um die Herde der Menschheit zu schützen? Wird eine einzige Impfung pro Mensch reichen? Es gibt viel zu bedenken. Vielleicht gibt es niemals einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Legen wir die Nadel erst einmal wieder weg.
Glauben wir ein bis zwei Absätze lang hilfsweise erst einmal an lang anhaltende Immunität für jeden, der
CoVID-2019 überlebt. Probieren wir es gedanklich mit der Infektion möglichst vieler Menschen zur Erzeugung von Herdenimmunität.

Ablehnung in Deutschland

Kanzleramtschef Helge Braun hält das für untauglich im Kampf gegen SARS-CoV-2. „Um nur die Hälfte der deutschen Bevölkerung in 18 Monaten zu immunisieren, müssten sich jeden Tag 73.000 Menschen mit Corona infizieren“, sagte Braun im April 2020 der Deutschen Presse-Agentur. „So hohe Zahlen würde unser Gesundheitssystem nicht verkraften und könnten auch von den Gesundheitsämtern nicht nachverfolgt werden. Die Epidemie würde uns entgleiten.“ „Eine Epidemie ist erst zu Ende, wenn ein Anteil von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung immun gegen das Virus ist“, fuhr Braun fort. Er ist selbst Arzt.
Könnte man die Erkrankungsrate nicht drosseln und trotzdem erfolgreich sein? Man muss ja nicht alles in 18 Monaten erledigen. Im Moment hält die Bundesregierung die Infektionsausbreitung in Deutschland offiziell für sozialverträglich. Könnten wir nicht so weiter machen? Die Antwort: In diesem Tempo brauchen wir etwa 70 Jahre zur Erlangung deutscher Herdenimmunität.

Grenzen des Konzepts

Die Immunisierung der Massen durch Infektion, Erkrankung und Genesung hat außerdem einen unschönen Nebeneffekt. Es überlebt gar nicht jeder, der angesteckt wird. Schönstenfalls 0,5%-1% aller Infizierten sterben, eher mehr. In Deutschland lag die Rate im Frühjahr 2020 bei über 3,5%. Von den Überlebenden und von CoVID-2019 Genesenen wird zudem nicht mehr jeder im Wortsinn gesund.
„Herdenimmunität“ bedeutet zudem nicht, dass das Virus verschwindet. Im Zustand der Herdenimmunität verlangsamt sich seine Ausbreitung. Mehr ändert sich nicht. Sind die meisten Menschen gegen einen bestimmten Erreger immun, kommt es zwar nicht zu einer Epidemie. Im Schnitt steckt jetzt jede Person weniger als eine zusätzliche Person an. Ansteckung kommt aber immer noch vor. Wenn irgendwann nur noch 100.000 Menschen infiziert sind und jeder von ihnen nur noch 0,9 Menschen ansteckt, folgen daraus zunächst immer noch 90.000 Neuinfektionen, und danach noch mehr. So geschieht das bei der derzeitigen Begrenzung der Verbreitungsgeschwindigkeit durch nicht-pharmakologische Maßnahmen und so wird das im Zustand der „Immunität der Herde“ auch geschehen.
Im Ergebnis wäre bis zum natürlichen Ende der Pandemie der größte Teil aller Menschen infiziert, weit über die von erwartete Herdenimmunitätsschwelle von etwa zwei Dritteln hinaus. Diese zusätzlichen Infektionen werden von Epidemiologen „Überschuss“ genannt. Viele Menschen jeden Alters wären tot.

Nebenwirkungen

Regierungen mancher Länder versuchen trotzdem, ohne Impfstoff eine „sichere“ Immunität der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 aufzubauen. In Schweden fordert man ältere Menschen und Menschen mit Gesundheitsproblemen zur Selbstquarantäne auf, hält aber Schulen, Restaurants und Bars offen. Manche halten das auch im Blick auf ärmere Länder wie Indien für gute Politik. Die Sterblichkeitsrate von CoVID-2019 schafft das nicht aus der Welt. Schweden hat schon jetzt weit mehr Tote zu beklagen als seine Nachbarn.

Fazit

„Herdenimmunität“ klingt gut. Wir hören Kuhglocken. Das Bild von Milch glücklicher Kühe taucht vor unseren Augen auf. Die Unsrigen sind gut geschützt. Leider ist nichts davon wahr.
Wir stehen erst am Anfang der Pandemie. Kontrolliert abfackeln können wir den Erreger nicht. Wir müssen uns aber auch nicht alle infizieren. Die absichtliche oder die billigend in Kauf genommene Infektion ganzer Bevölkerungsgruppen ist riskant und sie rottet das Virus nicht aus.
Wir alle müssen vorläufig mit SARS-CoV-2 leben. Für CoVID-2019 gilt diese Aussage nicht.
Warten wir nicht auf die Rückkehr unseres Lebens vor der
Pandemie! Passen wir unser gesamtes Leben an die neue Lage an. Hoffen wir auf Immunität und auf einen Impfstoff. Verändern wir Alltag und Wirtschaft, Schule und Gesellschaft, Freundschaft und Demokratie aber lieber rechtzeitig als zu spät.

Neueste Hinweise finden sich stets in unserem Blog.